Predigt zu Matthäus 9, 35-38 von Hans-Georg Ahl

04.06.2018, 07:29

Predigt Mt 9,35ff

 

 35 Jesus zog durch alle Städte und Dörfer ´jener Gegend`. Er lehrte in den Synagogen, verkündete die Botschaft vom Reich ´Gottes` und heilte alle Kranken und Leidenden. 36 Als er die Scharen von Menschen sah, ergriff ihn tiefes Mitgefühl; denn sie waren erschöpft und hilflos wie Schafe, die keinen Hirten haben. 37 Da sagte er zu seinen Jüngern: »Die Ernte ist groß, doch es sind nur wenig Arbeiter da. 38 Bittet deshalb den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter auf sein Erntefeld schickt!«

 

Liebe Gemeinde,

mit diesen Versen befinden wir uns an einer der Schaltstellen im Matthäusevangelium. Es handelt sich um die Zusammenfassung der ersten Phase der Wirksamkeit Jesu. Zusammenfassungen sind hier und da wichtig, damit man weiß, wo man steht. Hier hat die Zusammenfassung drei Dimensionen, die wir uns jetzt klar machen wollen: Räumlich, inhaltlich und praktisch.

  1. Räumlich

Ganz offensichtlich war Jesus kein Guru, der irgendwo seinen Tempel oder seinen Sitz hatte und die Menschen zu sich strömen ließ. Jesus blieb auch nicht wie sein Vorgänger und Ankündiger Johannes am Jordan, um die Menschen zu taufen. Zu ihm ging man, während es von Jesus heißt, dass er zu den Menschen ging. Und das hält sich ja, wenn ich es richtig verstehe bis zum letzten Abschnitt des Evangeliums durch, wo Jesus seine Jünger ja ausdrücklich auffordert, es ihm gleich zu tun. Ich finde das deshalb so bedeutsam, weil die Kirche zu der auch wir gehören eine ausgesprochene „Komm-Struktur“ entwickelt hat. Verbunden ist damit dann eine Mentalität, die den Menschen den schwarzen Peter zuschiebt: „sie wissen ja wann Gottesdienst ist“ oder „ wir geben uns Mühe mit unserem Programm, selber Schuld, wenn sie nicht kommen“. Sogar unser Angebot für Menschen, die den Weg nicht mehr in unseren normalen Gottesdienst finden, der „Come in“ war so gestrickt, dass die Leute eben kommen mussten. Ich erinnere daran, dass in der Gründungsphase unserer Gemeinde Freiversammlungen in den Neubaugebieten Eichholz und Honsel stattfanden und wir maßgeblich an einer Fabrikmission beteiligt waren. Und ich denke dankbar an die Gottesdienste  im ehemaligen Neubaugebiet Vogelberg auf dem Schulhof zurück und freue mich auf die Schützenhalle bei pro Christ im November. Wir haben übrigens einige Male die Leute vorher besucht und sie dazu eingeladen.

  1. Inhaltlich

Natürlich können wir uns als Gemeinde alles Gehen sparen, wenn wir nichts zu sagen haben. Was hat Jesus denn gesagt? Die Angaben in unseren Versen sind eher spärlich aber bei näherem Hinsehen doch aussagekräftig. Da steht zunächst, dass Jesus gelehrt hat. Er hat also das getan, was in der Regel in der Zusammenkunft der jüdischen Gemeinde in der Synagoge geschah. Ein alttestamentlicher Text wurde vorgelesen und ausgelegt. Jesus stellt sich also damit deutlich in die Tradition, die er vorfindet und er bestärkt sie. Offensichtlich liegt Segen auf der Beschäftigung mit Gottes Wort, auch in unserem Gottesdienst und Bibelabend und in allen Gruppen, wo es um sein Wort geht. Allerdings unterschied sich die Lehre Jesu an einer ganz bestimmten Stelle von der Predigt der Schriftgelehrten und Pharisäer: er predigte vollmächtig. Oder anders ausgedrückt: sein Wort bewirkte etwas. Ob eine Predigt etwas bewirkt oder bewegt, ob sie im Herzen der Menschen ankommt, liegt offensichtlich nicht am Handwerkszeug des Predigers, das übrigens durchaus gut sein darf – also die Mühe bei der Auslegung des Textes, beim Suchen der rechten Bilder und Worte – sondern allein an Gottes Geist. Und auch daran, und das ist der zweite inhaltlich Hinweis, was gepredigt wird. Jesus predigte das „Reich Gottes“. Das stand offensichtlich im Mittelpunkt seiner Verkündigung:

                - Kehrt um, das Reich Gottes ist da

                - das Reich Gottes ist mitten unter euch

                - wenn ihr nicht werdet wie die Kinder…

Viele seiner Beispielgeschichten fangen mit dem Satz an: Mit dem Reich Gottes ist es, wie…

Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass hier der springende Punkt saß: Reich Gottes heißt ja, dass Gottes Herrschaft angefangen hat, und zwar nicht in ferner Zukunft sondern hier und jetzt. Während die Schriftgelehrten die Bibel als ein Buch von Gottes handeln in der Vergangenheit auslegten und für die Menschen aktuell nichts anderes zu bieten hatten als ein ausgeklügeltes Regelwerk von Ge- und Verboten, sprach Jesus von Gottes Wirken hier und jetzt und forderte Menschen auf ihm nachzufolgen. Und während die Pharisäer die Menschen in Gerechte und Sünder einteilten, betonte Jesus, wie Gottes Herz für die Verlorenen schlägt, weil es seine Verlorenen sind, weil er sie verloren hat und unbedingt wieder haben will.

Zum Schluss dieses Punktes möchte ich noch einen Gedanken weitergeben: Reich Gottes ist auch größer und mehr als unser Gemeindehorizont.. Aber bei allen Erweckungsbewegungen, die es gegeben hat, stand eine große Sehnsucht nach dem Reich Gottes im Mittelpunkt. Dass unsere kaputte leidende und blutende Welt darauf wartet, dass Gott seine Herrschaft aufrichtet.    

  1. Praktisch

Ich weiß nicht, wie es ihnen mit diesem Satz geht: „er heilte alle Krankheiten und Gebrechen“. Ich kenne Leute, denen dieser Satz Bauchschmerzen bereitet und das sind nicht Ärzte und Krankenschwestern sondern Leute, denen das zu charismatisch und heiß wird. Dabei soll uns dieser Satz nicht wehtun sondern gut tun: was haben wir für einen tollen Herrn! Und natürlich sind die Heilungen ein Beleg für die Vollmacht des Wortes Jesu. Ich persönlich halte nicht allzu viel von so genannten Heilungsgottesdiensten, aber ich halte viel von dem Gebet mit Kranken nach Jak 5. Und auch da haben wir schon wunderbare Dinge erlebt. Hier steht ja nun ausdrücklich, dass er alle Krankheiten heilte. Das gilt glaube ich für diese Phase seines Wirkens. Im Neuen Testament wird nicht davon berichtet, dass Jesus einem Menschen, der ihn um Hilfe gebeten hätte nicht geholfen hat. Allerdings geht er zum Teich Bethesda, wo geschätzt einige Tausend Kranke lagen, nicht mit einem Megaphon: Alle mal herhören, ich mache euch jetzt gesund, sondern er geht zu einem, der schon lange jede Hoffnung auf Gesundung aufgegeben hatte.

Ich möchte an dieser Stelle für uns alle sagen: das ist für m ich der springende Punkt, dass das Evangelium kein leeres Wortgeklingel ist sondern Auswirkungen auf den ganzen Menschen hat. Dass Jesus möchte, dass Menschen in seinen Machtbereich kommen, dass sie an Leib und Seele gesund werden. Auch die Menschen, die Jesus damals gesund gemacht hat, sind gestorben und ich vermute mal die meisten nicht gesund sondern an Krankheiten. Es gehörte mit zu den Kennzeichen der Urgemeinde, dass sie sich untereinander lieb hatten und dazu gehörte auch und gerade eine Fürsorge für die Alten und Schwachen.

Die räumliche, inhaltliche und  praktische Dimension des Wirkens Jesu bleiben  allerdings für uns graue Theorie, wenn nicht die zwei Dinge hinzukommen, die Jesus zum Schluss unseres Textes anspricht: die Haltung unseres Herzens und das Gebet. Dabei geht es zunächst um unser Menschenbild. Ich meine nicht das christliche der CDU das eh eher ein humanistisches ist, also darauf basiert, dass man den Menschen bei entsprechender Bildung und Kultur verbessern kann, sondern das Menschenbild Jesu:

  • Schafe, die verschmachtet sind, weil sie keinen Hirten haben

Warum denken sie ist an die Wand der alten Kreuzkirche der Hirte mit dem Lamm auf der Schulter gemalt? Weil die Väter unserer Gemeinde das als Leitbild hatten: hier sollen Menschen, die am verschmachten sind, dem guten Hirten begegnen. In einer Gemeinschaft von Menschen, die sagt und glaubt: hier werden wir satt, hier am Tisch des Herrn. Und daran schließt sich das Bild von Ernte, an die reif ist. Wer seine Augen öffnet. Sieht die vielen verschmachteten Menschen. Und wer diese Bitte mitspricht, dass der Herr Arbeiter in seine Ernte senden möge, kann ganz schnell einer dieser Arbeiter sein. Denn als ganze Gemeinde wollen wir das: in seinem Reich mitarbeiten. Denn es sind ja unterschiedliche einzelne Menschen und ihr „verschmachtet sein“ hat ganz unterschiedliche Ausprägungen, die wir nur erfahren , wenn wir uns wirklich für sie interessieren.


Zurück